Work, Life, Baustelle
Auf der Baustelle herrschen andere Bedingungen als auf Büroetagen. Bleibt da noch Spielraum für Themen wie Work-Life-Balance und Familienfreundlichkeit? Oder ist das Schnickschnack aus einer anderen Welt? Benedikt Stentrup und Stefan Schmidt, Geschäftsführer der Sanierungstechnik Dommel GmbH, suchen nach Antworten.
„Unsere Mitarbeiter sind Menschen, keine Maschinen“, sagt Benedikt Stentrup. „Da hat jeder auch mal ein privates Thema, ein gesundheitliches Problem. Wir versuchen das zu berücksichtigen, wo immer möglich.“ Für ihn geht es um Wertschätzung auf der Baustelle, um das Miteinander der Kolleginnen und Kollegen von Büro und Baustelle, um gute Arbeitsbedingungen.
Dass es bei der Firma Dommel nicht nur bei guten Vorsätzen bleibt, sondern die Wertschätzung auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt, beweisen die Trophäen von Kununu, dem größten Bewertungsportal für Arbeitgeber. Dommel gehört zu den beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands – und das als Unternehmen für Kanalsanierung, wo Zehn-Stunden-Tage auf verschlammten Baustellen und wochenlange Montagefahrten zum Alltag gehören.
„Der Tiefbau hat schon nicht das beste Image der Branche, und die Kanalsanierung steht quasi noch darunter“, weiß Stentrup. Gibt es ein Patentrezept für die Positionierung als bester Arbeitgeber? Stentrup: „Ich glaube, es ist eher eine Frage der Unternehmenskultur als die einer genialen Maßnahme. Wir stehen einfach alle füreinander ein. Es ist ein Geben und Nehmen.“
Albert, Robert und Eugen
Einer der zufriedenen Mitarbeiter ist Albert Kirsch. Gerade verfolgt er auf dem Bildschirm die Kamerafahrt durch einen Abwasserkanal. Er sitzt in einem Transporter, der bis unters Dach mit Technik ausgestattet ist. Kabel, Schläuche und Steuerelemente beherrschen das Heck, im Innern erinnert das Fahrzeug mit mehreren Bildschirmen und Aufzeichnungsgeräten an ein Einsatzfahrzeug der Polizei. „Sieht gut aus“, kommentiert er den Zustand der Abwasserrohre auf dem Bildschirm.
„Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice“ lautet seine offizielle Berufsbezeichnung, im Volksmund „Kanalarbeiter“. Seit 2006 arbeitet er bei Dommel. „Damals waren wir nur 15 Kollegen“, erinnert er sich, „und dann sind wir rasant gewachsen.“ Vor einiger Zeit hat er seinen Cousin Robert Kirsch überzeugt, nach der Ausbildung beim Lippeverband zu Dommel zu wechseln. „Das wird dir gefallen“, habe er gesagt. „Das Teamwork ist super, die Bezahlung auch, und wenn es Probleme gibt, kannst du die Geschäftsführung immer ansprechen.“ Robert Kirsch ist dem Rat gefolgt: „Das war eine gute Entscheidung. Die Stimmung hier im Betrieb ist wirklich prima, und ich kann mich an der Abendschule zum Techniker weiterbilden. Außerdem habe ich hier in dem halben Jahr viel dazugelernt.“
Zum Beispiel von Eugen Tribus. Der gelernte KFZ-Mechaniker ist schon über 20 Jahre im Betrieb und Herr über ein Spezialfahrzeug zur Rohrreinigung, Neuwert über eine halbe Million Euro. „Letztens hatten wir im Hammer OLG-Park große Probleme mit Wurzeln im Kanal“, berichtet Geschäftsführer Stefan Schmidt. „Dank Eugen haben wir die Verstopfung in der Hälfte der Zeit bewältigt, die der Planer vorgesehen hatte. Eugen weiß genau, welches Werkzeug zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden muss.“ Bislang stand das Fahrzeug still, wenn Eugen Tribus im Urlaub war. Diesmal wird Robert Kirsch es übernehmen. „Ich finde es wichtig, den Mitarbeitern Verantwortung zu übergeben“, sagt Stentrup. „Früher hörte man auf Baustellen schon einmal den Spruch: Ich werde hier nicht fürs Denken bezahlt. Heute sage ich dazu: Doch, dafür wirst du bezahlt.“
Beschäftigtenstruktur und Veränderungsprozesse
Von den 95 Beschäftigten arbeiten bei Dommel etwa 25 im Büro, 70 auf Baustellen. Das Büro ist heterogen zusammengesetzt: Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Auf den Baustellen arbeiten ausschließlich Männer. Unter den acht Azubis sind vier angehende Umwelttechnologen, drei Kanalbauer und eine Industriekauffrau. Die meisten von ihnen kommen aus Hamm, viele aus Bockum-Hövel. Mit über 200 Bewerbungen pro Jahr über alle Bereiche steht der Betrieb gut da.
„Für uns ist Hamm mit seiner Bergbau- und Industrietradition ein guter Standort für die Gewinnung von Fachkräften“, meint Stentrup. „Aber wir tun auch viel dafür.“ Schulkooperationen, die Teilnahme an Bildungsmessen und Social-Media-Aktionen sind für ihn selbstverständlich. „Außerdem haben wir gute Erfahrungen mit jungen Menschen gemacht, die auf den ersten Blick nicht zu den Top-Bewerbern gehören.
„Aus dem Programm ‚Kein Abschluss ohne Anschluss‘ haben wir vier richtig gute Mitarbeiter gewinnen können.“
Fotogalerie: © Nico Schmitz
Vor sechs Jahren ist Dommel aus der Unternehmensfamilie Heckmann ausgeschieden. Vor vier Jahren wurde der Wiesbadener Standort übernommen, vor einem Jahr kam Stefan Schmidt als Geschäftsführer hinzu. „Wir hatten viele Veränderungsprozesse gleichzeitig zu bewältigen, haben hier alles von links auf rechts gekrempelt“, erinnert sich Stentrup. Hinzu kamen Corona, die Energiepreise, die Digitalisierung. „Wir müssen aufpassen, dass sich unsere Leute mit den ganzen Veränderungen nicht überfordert fühlen.“
Ein Schlüsselerlebnis war für ihn ein Betriebsfest: „Wir haben im Hof gegrillt, einen Bierwagen aufgestellt, ganz einfach. Und wir hatten es so nötig: nach der Corona-Zeit, den ganzen Veränderungen und Unsicherheiten einfach mal wieder ein Bierchen miteinander zu trinken und ins Gespräch zu kommen. Es war, als sei da ein Knoten geplatzt. Seitdem ist die Stimmung eine andere.“
Employer Branding
Gleichzeitig ist sich die Geschäftsführung bewusst, dass ein Grillfest nicht ausreicht, um sich auf Dauer als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Employer Branding war bei Dommel bereits vor zehn Jahren ein Thema.
„Um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, brauchen wir Maßnahmen, die zu unserer Zielgruppe passen“, sagt Stentrup. Monetäre Anreize spielen dabei durchaus eine Rolle. „Ich bin ganz zufrieden mit dem neuen, höheren Tarifabschluss“, sagt Stefan Schmidt. „Dadurch fällt es uns leichter, Bewerber aus anderen Branchen auf uns aufmerksam zu machen.“
Remote Work und flexible Arbeitszeiten sind im Bürobereich selbstverständlich. Im gewerblichen Bereich sieht Stentrup allerdings Grenzen: „Vieles, was in anderen Branchen leichthin gefordert wird, ist bei uns schlicht nicht umsetzbar.“ Wochenlange Montagefahrten sind mit Familienaufgaben kaum vereinbar. Und wenn die Baukolonne um 5 Uhr früh vom Hof fährt, kann kein Vater vorher sein Kind zu KiTa bringen. Feste Arbeitszeiten gibt es nicht, im gewerblichen Bereich ist den Kolonnen selbst überlassen, wann sie losfahren. Doch die Tage sind inklusive Anfahrtszeiten lang, ein Aufbruch nach 7 Uhr macht da wenig Sinn.
Beim Gesundheitsschutz kann Dommel wiederum punkten. Ein Fitnessraum steht Beschäftigten und Partner:innen auch am Wochenende zur Verfügung. Sehr gut angenommen wurde das Bike-Leasing, das auch Familienangehörigen offensteht. „Das hat uns selbst überrascht“, sagt Benedikt Stentrup. „Unsere Radfahrerquote ist hoch. Auch die älteren Mitarbeiter kommen bei uns mit dem Fahrrad zur Arbeit.“
Für den psychologischen Bereich engagierte die Geschäftsführung eine anonyme Telefonberatung. Dort können die Mitarbeiter anrufen, wenn sie in persönlichen Krisen eine erste Anlaufstelle suchen. Gleichzeitig vermittelt die Hotline Facharzttermine. „Allein, wenn ein Mitarbeiter drei Wochen schneller einen MRT-Termin bekommt, hat sich die Hotline schnell ausgezahlt“, findet Stefan Schmidt. Und auch die psychologische Hilfe werde angenommen. „Unsere Männer reden nicht so schnell über solche Themen. Doch dort rufen sie an.“ Wer sich mit welchen Themen an die Hotline wendet, erfahren die Chefs aus Datenschutzgründen nicht.
„Doch all das würde nicht funktionieren, wenn die Kollegen sich nicht untereinander helfen würden“, erklärt Benedikt Stentrup.
Oder wie Albert Kirsch es zu seinem Cousin sagte: „Komm zu uns. Hier lassen dich die Kollegen nicht hängen.“