Die Jäckering Mühlenwerke machen vor, wie sich ein mittelständischer Industriebetrieb dem Wandel der Zeit stellt. „Die wirklich spannenden Jahre liegen noch vor uns,“ sagt die kaufmännische Geschäftsführerin Julia Laudenbach. „Wir werden Neuland betreten.“
Dabei hat Jäckering gerade erst massiv in die Modernisierung und Erweiterung des Standorts am Hammer Hafen investiert: 120 Mio. Euro seit 2018, inklusive neuem Gleisanschluss und Blockheizkraftwerk. Die Produktionskapazitäten werden damit von 300.000 Tonnen Weizen jährlich auf 600.000 Tonnen verdoppelt, mit Erweiterungsoption auf 900.000 Tonnen. Aktuell wartet der Betrieb auf den neuen, elektrobetriebenen Verladekran. „Es steht nur noch die Genehmigung für den Schwerlasttransport aus“, berichtet Jan Zillmann, technischer Geschäftsführer. Die Weiche für den neuen Gleisanschluss liegt bereits zur Montage bereit.
Bei der Firma Jäckering mit rund 150 Beschäftigten in Hamm dreht sich alles um Weizen: Das Korn wird mit Mühlen aus eigener Produktion und Entwicklung zu Mehl gemahlen. Das wird in der eigenen Stärkefabrik in seine Bestandteile extrahiert: Stärke, Weizenproteine und ein flüssiger Rest, die sogenannten Nebenströme.
Weggeworfen wird hier nichts: „Wir sind ein abfall- und abwasserfreier Betrieb“, erklärt Jan Zillmann. Die Stärke wird zum Großteil in die Papierindustrie verkauft, die nährstoffreichen Nebenströme und Proteine gehen in die Schweinemast, die Weizenschalen (Kleie) sind ein begehrtes Rinderfutter.
Aktuell ist Stärke für die Papierindustrie das wichtigste Handelsgut von Jäckering. Die Papierindustrie braucht die langkettigen Glukoseverbindungen aus dem Weizen, um mehr Altpapier verarbeiten zu können. Sonst werden Kartons nicht stabil. Für die Zukunft könnten jedoch die Nebenströme zum Game Changer werden. Als Schweinefutter sind die nämlich eigentlich viel zu schade. Stattdessen könnten aus den Nebenströmen Produkte für die chemische Industrie gewonnen werden.
Daran arbeiten Forschungsleiter Dr. Felix Bischoff und die Biotechnologin Litwinska Katarzyna im Technikzentrum des Betriebs. „Aus den Nebenströmen können wir Grundstoffe für die chemische Industrie gewinnen“, erklärt Bischoff. „Zurzeit wird dafür vor allem Erdöl und Erdgas gebraucht. Wir können einen Beitrag dazu leisten, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zur verringern.“ In kleinem Maßstab verkauft Jäckering diese Grundstoffe bereits an Chemiewerke. In Zukunft soll das deutlich mehr werden.
Innovativ waren die Mühlenwerke schon immer. So setzt der der familiengeführte Betrieb seit 1955 hochspezialisierte Luftwirbelmühlen ein, die in der eigenen Forschungsabteilung entwickelt wurden. Die Altenburger Maschinen Jäckering GmbH baut solche Mühlen für ganz verschiedene Anwendungszwecke auf dem ehemaligen Thyssen-Gelände. Die gleichzeitige Mahlung und Trocknung erlaubt die Vermahlung ganz unterschiedlicher Stoffe, ob Lacke, Gummi, Algen oder auch Ingredienzen für Parfums. Auch klebrige oder explosionsgefährdete Stoffe können mit den Mühlen von Jäckering zerkleinert werden.
Der Verkauf von Mehl spielte eine immer geringere Rolle und wurde 2017 endgültig eingestellt. Seitdem steht die Stärkefabrik im Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit. Die Erweiterung ihrer Produktionskapazitäten war durch die rasant steigende Nachfrage nach Recycling-Karton möglich. „Dieser Markt wächst weiter, Karton wird immer gebraucht. Doch wir werden die Wertschöpfung des wertvollen Rohstoffes Weizen weiterentwickeln und auch in Zukunft ein Innovationstreiber bleiben“, sagt Julia Laudenbach. „Wir wollen weiter investieren und wenn möglich expandieren.“
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Eigenes Blockheizkraftwerk
Die Rahmenbedingungen dafür sind – wie für die meisten mittelständischen, energieintensiven Industriebetriebe - nicht einfach. „Energiepreise, Bürokratie und Fachkräftemangel sind Themen, wo sich etwas bewegen muss“, sagt Julia Laudenbach. „Wir engagieren uns in Verbänden und Arbeitskreisen, um deutlich zu machen, was wir brauchen. Die Politik muss pragmatischer werden und mehr direkt mit den Unternehmen reden.“ Als Beispiel nennt sie den Deutschtest als Einstellungsvoraussetzung. „Ich rede die längste Zeit des Tages Englisch, und die Basiskommunikation auf dem Firmengelände erledigen wir Learning bei Doing. Wozu der Deutschtest? Wir brauchen die Fachkräfte jetzt.“
Jan Zillmann führt als weiteres Beispiel die Gesetze zum Bioethanol auf, die sich in den letzten Jahren mehrmals geändert haben: „Es nützt uns nichts, wenn Produkte gehypt, verteufelt und dann wieder gehypt werden. Wir müssen wissen, ob es sich lohnt, zu investieren.“
Um den steigenden Energiepreisen zu begegnen, optimiert der Betrieb seinen Verbrauch, wo er kann. Das eigene Blockheizkraftwerk mit 14 MW Leistung wird mit Erdgas betrieben, die Abwärme wird für
die Trocknung des Weizens eingesetzt. Längerfristig hofft Jan Zillmann auf Wasserstoff als Energieträger. Trotz des hohen Energieverbrauchs ist der CO2-Abdruck der Produkte, die Jäckering vertreibt, negativ. Als nachwachsender Rohstoff entzieht der Weizen der Atmosphäre so viel Kohlendioxid, dass sie den Energieverbrauch mehr als ausgleicht.
Der Weizen gelangt zum großen Teil umweltfreundlich per Schiff und Bahn zu Jäckering. Die Lage am Kanal zwischen den großen Weizenanbaugebieten im Osten und den industriellen Abnehmern im Westen ist für das Unternehmen ein bedeutender Standortvorteil. Das große Futtermittelmischwerk direkt neben der Getreidemühle, ein Kooperationsprojekt von Jäckering mit Raiffeisen, konzentriert die Warenströme an einem Ort. So werden Transportwege verkürzt, Leerfahrten von LKW vermieden und Hamm als agrarlogistischer Knotenpunkt gestärkt. „Der Ausbau des Kanalhafens und vor allem des ehemaligen Rangierbahnhofs bietet uns und dem Standort Hamm große Chancen“, glaubt Zillmann.
Trotz aller Herausforderungen blicken Zillmann und Laudenbach optimistisch in die Zukunft. „Wir sind kreativ, flexibel, aktiv“, betont Julia Laudenbach. „Es sind die typischen Vorteile eines mittelständischen Betriebs. Unsere Türen stehen offen, wir reden mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, profitieren von ihren Ideen, können auf ihre Solidarität setzen.
So finden wir immer wieder Lösungen, auf die andere nicht so schnell kommen.“